Petri Fischzug - Ein Symbol für die Juist-Stiftung

Anlässlich des 2. Stiftermahls der Juist-Stiftung am 21. April 2012 in der Evangelischen Inselkirche hielt der Juister Pädagoge Hans Kolde, langjähriges Stiftungsrats-Mitglied, folgenden Vortrag:

Es war zweifellos die hohe Symbolkraft des Mosaiks über dem Altar unserer 6. Inselkirche, die sowohl zum Namen für die soeben genossenen Köstlichkeiten des heutigen Stiftermahls führte, als auch die gesamte Arbeit der Juist-Stiftung umreißt.
Fischen: Das ist eine uralte Tätigkeit, die in allen Kulturen bekannt ist und die einen wichtigen Platz bei der Versorgung der Menschen mit Nahrung einnimmt. Fischen bekommt aber noch eine andere Bedeutung, wenn wir uns an die Geschichte erinnern, die der Evangelist Lukas uns im Neuen Testament erzählt.
Am Ufer des Sees Genezareth wollte Jesus einer großen Menschenmenge das Wort Gottes verkünden. Um die Massen mit seiner Stimme besser erreichen zu können, bat er einen der Fischer, ihn in seinem Boot ein Stück vom Ufer wegzurudern. Von dort redete er dann und als er geendet hatte, sagte er zum Fischer Simon Petrus: „Fahre mit deinen Leuten hinaus auf den See und wirf die Netze aus.“ Darauf antwortete Simon Petrus: „Herr, wir haben bereits die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen. Aber wenn du es sagst, wollen wir es noch einmal versuchen.“ Sie taten es, und als sie die Netze einholten, waren sie so übervoll von Fischen, dass die Boote den Fang kaum bergen konnten. Da fiel Simon Petrus vor Jesus auf die Knie und sagte: „Herr, geh‘ fort von mir, ich bin ein sündiger Mensch.“ Er hatte plötzlich Angst nach dem völlig unerwarteten Fang, den sie soeben gemacht hatten und vor der Erkenntnis, der Heiligkeit und Macht Gottes begegnet zu sein. Und gleichermaßen erging es seinen Helfern Johannes und Jakobus. Aber Jesus antwortete ihm: „Hab keine Angest, von jetzt an wirst du Menschen fangen.“ Daraufhin zogen die Männer ihre Boote ans Ufer, ließen alles, was sie besaßen, zurück und folgten Jesus, um seine Jünger zu werden.

Diese Geschichte war es, die im Jahr 1958 Juister Jungen und Mädchen der Realschul-Abschlussklasse 10 und ihren Kunsterzieher Herbert Gentzsch zu einem kühnen Plan inspirierte. Man brauchte für den Kunst-Unterricht dringend einen Brennofen, um keramische Arbeiten herstellen zu können. Aber die Inselgemeinde hatte – wie immer – kein Geld, es gab weder einen Förderverein, noch die Juist-Stiftung, und so blieb nur der Weg über eigenes Geldverdienen, und der sah so aus: Schüler und Kunstlehrer Gentzsch fertigen aus farbigem Material ein Mosaik an, das der Gemeinde oder einer anderen Institution zum Kauf angeboten wird. Mit dem Verkaufserlös soll dann der Brennofen bezahlt werden.

Für die Juister Schüler war von Anfang an klar, dass das Mosaik thematisch etwas mit dem Meer zu tun haben sollte. Nach langen Diskussionen blieben zwei Themen übrig: 1. „Stillung des Sturms“ und 2. „Petri Fischzug“. Der letzte Vorschlag machte das Rennen. Nun ging es ans Entwerfen. Zunächst entstand nach vielen Einzelskizzen der erste Rohplan im Format DIN A 2. Danach räumte man ein Klassenzimmer aus und legte auf dem Fußboden mit 60 Pappquadraten 30 x 30 cm die Originalgröße des Mosaiks fest, die als Hochformat 3,00 Meter mal 1,80 Meter betragen sollte. Dann begann die formale Bildgestaltung, wobei Darstellungen romanischer und gotischer Kunstwerke die Orientierungshilfen bildeten. Es folgte die Übertragung des Gesamtbildes auf einzelne Pergamentblätter 30 x 30 cm, die, in einen Holzrahmen eingepasst, als Grundlage für den eigentlichen Mosaikaufbau dienen sollten. Wer bedenkt, dass es damals weder Computer noch sonstige Hilfsmittel gab, die heute für Entwurfsarbeiten dieser Größe zur Verfügung stehen, vermag die Leistung der Juister Schüler und ihres Lehrers zu würdigen. Als Mosaikmaterial wurde Glas ausgewählt, das ein Norder Geschäftsmann aus Restbeständen spendete. Mithilfe der Firma Degussa entwickelte Herbert Gentzsch ein Verfahren zum Einfärben der Gläser mit lichtechten Speziallacken. Über 80 verschiedene Farbtönungen entstanden. Sogar die Vergoldung einzelner Platten gelang. Mit einem Anlegeöl klebte man hauchdünne Blattgoldfolien auf die Scheiben, die nach dem Trocknen einen Schutzüberzug aus Binderweiß erhielten. Als nächster Arbeitsgang stand das Zuschneiden der Glasstücke an. Natürlich mussten Lehrer und Schüler die Handhabung eines Glasschneiders erst einal lernen, aber schon nach kurzer Zeit gelang die Herstellung der typischen Mosaiksteine, die man nach Farben sortiert in Pappkästen lagerte.

Jetzt begann die Hauptarbeit: Das Mosaiklegen. In jeden Holzrahmen, der am Boden das aufgeklebte Pergamentblatt mit den jeweiligen gezeichneten Bilddetails trug, mussten die entsprechenden farbigen Glasteile eingepasst werden. Nach der 1. Qualitätskontrolle durch Herrn Gentzsch konnten die Glasstücke einzeln, mit der unbeschichteten Seite auf das Pergamentblatt aufgeklebt werden. Nach der 2. Kontrolle erfolgte dann das Ausgießen der Form mit flüssigem Gips. In den noch weichen Brei wurden nun verzinkte Eisendrähte zur Stabilisierung der Platte eingedrückt, und zwar je drei Stück waagerecht und senkrecht. Nach ca. 30 Minuten konnte das Pergamentpapier abgezogen werden, und einige Tage später war das Bilddetail komplett durchgetrocknet und konnte weiter verarbeitet werden. So entstand Platte für Platte – insgesamt 60 – bei ca. 36.000 verbrauchten Einzel-Glasstücken. 1956/60 arbeiteten 12 Schüler an dem Projekt, 1960/61 waren es dagegen nur acht. Ostern 1961 war das Kunstwerk endlich fertig. Es landete aber zunächst auf dem Dachboden der Schule, wo es seinen Feinschliff erhielt und erstmalig zusammengefügt wurde. Nun war die große Frage, wie es weitergehen sollte. Die Inselgemeinde hatte inzwischen zwar das Geld für den Brennofen gezahlt und damit das Mosaik erworben. Auch das Landes-Kirchenamt war nach einer Begutachtung voll des Lobes und einverstanden mit dem Einbau in die neue Inselkirche. Doch deren Bau verzögerte sich, so dass der Einweihungsgottesdienst erst am 12. Juli 1964 stattfinden konnte. Seitdem beherrscht „Petri Fischzug“ die Wand hinter dem Altar und beeindruckt immer wieder Insulaner und Gäste. Von manchen der damals mittätigen Schüler gab es Jahre später immer wieder Berichte über die gemeinschaftsbildende Kraft des Projektes, und viele sind heute noch stolz, daran mitgearbeitet zu haben.

Lassen Sie mich noch einmal zur Symbolkraft des Bildes zurückkehren und ihre eingangs erwähnte Bedeutung für unsere Arbeit in der Juist-Stiftung betrachten. Erinnern wir uns der Worte, die Jesus zum Fischer Simon Petrus spricht: „Von nun an wirst du Menschen fangen“. Das war damals eine klare Aufforderung zu einer kompletten Neuorientierung seines Lebens, die manchem von uns in der heutigen Zeit vielleicht etwas abwegig vorkommt. Und doch enthält diese Aufforderung in ihrem Kern eine Botschaft, die auch für jeden von uns gelten könnte: Verändere etwas in deinem Leben, fange dir Menschen, die deine Hilfe brauche, tue Dinge, die der Allgemeinheit dienen und lindere Not, wo immer sie dir begegnet. Von dieser symbolhaften Aufforderung haben sich auch die in der Juist-Stiftung zusammengeschlossenen Bürgerinnen und Bürger fangen lassen und versuchen nun, durch ihr Engagement auf den verschiedensten Ebenen und mit ihren individuellen Möglichkeiten mitzuhelfen, Dinge in unserer Gesellschaft zu verändern oder zu verbessern, die notwendig sind, für die aber in der Regel kein Geld vorhanden ist. Dabei reicht die Bandbreite der Projekte von Bildungsinitiativen, Alten-, Jugend-, Kinderhilfe, Sport über Natur- und Umweltschutz bis hin zu Kunst und Kultur. Wenn wir in Zukunft noch mehr Bürger animieren könnten, sich auch für die Idee der Juist-Stiftung „fangen“ zu lassen, ist mir um ihre Weiterentwicklung nicht bange.